Von der Pferdebahn zum Hybridbus – Der öffentliche Nahverkehr nach Brinckmansdorf
von Berth Brinkmann, Quellen: Chronik RSAG, 1991; Straßenbahn und Busse in Rostock, Verlag Kenning, 2006
Nach dem deutsch-französischem Krieg 1870/71 begannen auch in Rostock die Gründerjahre. Mit Beginn der Industrialisierung wuchs die Stadt über ihre mittelalterlichen Grenzen hinaus. Westlich entstanden Arbeitersiedlungen, südlich Fabrikantenvillen und Häuser für Beamte und Kleinbürger. Die Barnstorfer Anlagen und der Stadtpark wurden beliebte Ausflugsziele der Rostocker Bevölkerung. Die Wege, die man zu Fuß zurücklegen musste wurden länger, nicht jeder konnte sich eine Pferdekutsche leisten. Der Wunsch nach einem preiswerten Verkehrsmittel für die Stadt wurde immer lauter.
Zu dieser Zeit fuhren bereits in unzähligen Städten Pferdebahnen. 1881 wurde in Rostock die Mecklenburgische Straßen-Eisenbahn Actien-Gesellschaft (MSEG) gegründet. Sie wollte in Rostock und Schwerin Pferdebahnstrecken bauen und betreiben. Der Bau ging zügig voran und ab 16. Oktober 1881 begann der Linienverkehr auf drei Strecken:
- Weißes Kreuz – Neue Wallstraße – Steinstraße – Neuer Markt – Blutstraße – Hopfenmarkt – Kröpeliner Straße – Schröderplatz – Wismarsche Straße – Alter Friedhof (5,7 km)
- Strand (Hafen) – Koßfelder Straße – Neuer Markt – Steinstraße – Alexandrinenstraße – Bellevue (3,1 km)
- Schröderplatz – Augustenstraße – Steinstraße – Neuer Markt – Blutstraße – Hopfenmarkt (3,5 km)
Je nach Fahrgastaufkommen wurden die Streckenführungen in den folgenden Jahren verändert.
1903 war man dann auch in Rostock so weit, die elektrische Antriebsart für die Straßenbahn einzuführen. Ab nun firmierte die Mecklenburgische Straßen-Eisenbahn Actien-Gesellschaft (MSEG) als Rostocker Straßenbahn Aktien-Gesellschaft (RSAG). Die erheblichen Umbauarbeiten zur Elektrifizierung gingen zügig voran. Da das Pferdebahndepot in der Ottostraße für den doppelt so großen Wagenpark nicht ausreichte, erwarb man ein Gelände an der Satower Chaussee (heute Fahnenstraße). Dort wurden Dienstgebäude, Werkstätten und eine Wagenhalle errichtet. Am 21. Mai 1904 fuhr unter großer Anteilnahme der Rostocker Bevölkerung die erste elektrische Straßenbahn. Am 18. Juni wurde dann auch die sogenannte grüne Linie Augustenstraße/Ecke Karlstraße – Stadttheater – Mühlendamm – Weißes Kreuz in Betrieb genommen. Die ersten Triebwagen, mit Laternendach, offenen Plattformen und fünf Seitenfenstern, kamen aus der Waggonfabrik Uerdingen.
In den folgenden Jahren wurde die Streckenführung der Straßenbahnlinien mehrfach den Beförderungszahlen angepasst. Ab Juli 1907 fuhr die grüne Linie vom Stadttheater über den Mühlendamm zum Weißen Kreuz. Im Januar 1910 erhielt sie die Bezeichnung Linie 3.
Um das Fahrpersonal auf der Außenstrecke über den Mühlendamm zum Weißen Kreuz vor der Witterung zu schützen, schloss die RSAG 1922 bei zwei Triebwagen die offenen Perrons mit erkerartigen Vorbauten.
Im Jahr 1933 wurde der Mühlendamm umgestaltet und die drehbare Schleusenbrücke durch eine Stahlbetonkonstruktion ersetzt. Da die RSAG die Kosten für die Neuverlegung der Straßenbahnschienen nicht aufbringen konnte, wurde die Linie 3 auf Busverkehr umgestellt. Ab März 1934 fuhren die Busse nicht nur bis zum Weißen Kreuz, sondern bis zum Schweizer Haus. Einige Fahrten gingen sogar bis in die Siedlung Brinckmansdorf ("Kriegerheimstätten").
In den Folgejahren wuchsen die Rostocker Industriebetriebe in vorher nicht gekanntem Umfang. Durch Eingemeindungen vergrößerte sich das Stadtgebiet erheblich. Für die in die Stadt strömenden Arbeiter musste immer mehr Wohnraum geschaffen werden. Auch in Brinckmansdorf begann rege Bautätigkeit von gutbetuchten Rostockern. Alle Busse der Linie 3 fuhren ab Dezember 1936 bis in die Siedlung Brinckmansdorf. Zum Einsatz auf dieser Strecke kamen auch Busse mit Holzgasantrieb, da die RSAG Referenzbetrieb für diese Antriebsart in Deutschland war.
Bereits 1939 beschlagnahmte die Wehrmacht 5 benzingetriebene Büssing-Busse, so dass die Linie 3 nur noch mit einem Wagen alle 24 Minuten pendelte. Ab 1940 wurde der Wagenmangel zu einem großen Problem bei der Bewältigung des Personenverkehrs. Die RSAG arbeitete an einem Projekt zur Umstellung des Omnibusverkehrs der Linie 3 auf Obusbetrieb. Für diese Busse sollte am Mühlendamm eine große Wagenhalle entstehen. Im Februar 1941 wurde dieses Projekt wegen "Schwierigkeiten bei der Materialbeschaffung" aufgegeben.
1943 musste der Verkehr auf der Buslinie 3 noch einmal eingeschränkt werden. Die Busse verkehrten nur noch halbstündlich zwischen Steintor und Schweizer Haus. Ende 1944 wurde der Linienverkehr weiter eingeschränkt. Die Linie 3 fuhr nur noch morgens und nachmittags im 30-Minuten-Takt. Tagsüber fuhr eine Linie 8 als "Ostringverbindung" ab Breite Straße über Am Strande – Petridamm – Dierkower Damm – Verbindungsweg – Weißes Kreuz und Steintor zur Breiten Straße. Ende Februar 1945 wurden weitere Busse und Personal zur Westfront abkommandiert, so dass der Stadtbusverkehr vorerst zu Ende war.
Beim Einmarsch der sowjetischen Truppen am 1. Mai 1945 wurde die Schleusenbrücke am Mühlendamm durch die Detonation einer Seemine, ausgelöst von einem deutschen Polizeioffizier, zerstört. Erst 1949 konnte sie wieder aufgebaut werden und die Buslinie 3 nahm ihren Betrieb vom Steintor zum Schweizer Haus erneut auf. Anders, als vor dem Krieg, wurden nun wieder Gleise auf dem Mühlendamm verlegt, so dass ab April 1950 der Nahverkehr zum Weißen Kreuz mit der Straßenbahn erfolgte. Im Mai konnte dann die verlängerte Strecke bis zum Verbindungsweg in Betrieb genommen werden. Die eingleisige Strecke besaß nur eine Ausweichstelle am Weißen Kreuz. Am Steintor wurde die Wendeschleife der Linie 4 mitbenutzt. Viertelstündlich pendelten zwei "Eberswalder"-Triebwagen auf der Linie 3. Ab 1955 wurden auf dieser Strecke vornehmlich die vierachsigen ehemaligen Strandbahnen (Hohe Düne – Markgrafenheide) eingesetzt. Diese schweren Wagen und die gebraucht erworbenen Schienen haben wahrscheinlich dazu beigetragen, dass nach nur 5 Jahren der Straßenbahnbetrieb der Linie 3 aus Sicherheitsgründen 1956 aufgegeben wurde. Von April an fuhren wieder Omnibusse („Ikarus 60“) auf der Strecke Steintor – Brinckmansdorf (Jan-Maat-Weg). Zum Einsatz kamen später auch die unverwüstlichen "H6B-Busse". Zwischenzeitlich hatte der Nahverkehrsbetrieb auch "Ikarus 620" beschafft und ab 1960 sah man immer öfter "Ikarus 66S", im Volksmund "Rakete" genannt, auf den Buslinien im Einsatz. 1963 wurde die Linie 3 bis Pastow verlängert.
Der Hafen und die großen Rostocker Industriebetriebe zogen immer mehr neue Einwohner nach Rostock. Nach Reutershagen wurde die Südstadt errichtet. Diese Stadtteile mussten in das vorhandene Nahverkehrsnetz eingebunden werde. Im Juli 1969 gab es in Rostock eine Liniennetzreform. Aus der Linie 3 wurde die Linie 23 (Pastow – Brinckmansdorf – Hauptbahnhof – Bezirkskrankenhaus Südstadt) und wurde alle 7,5 Minuten bedient. Im Juli 1970 wurde die Linie 23 bis zur neuen Mensa der Universität an der Albert-Einstein-Straße verlängert.
1971 zählte man in Rostock erstmals 200.000 Einwohner. Immer öfter kam es zu Überlastungen des Wagenparks des Nahverkehrsbetriebes. Im Berufsverkehr zum Weißen Kreuz waren die Busse der Linie 23, zumal dort auch zahlreiche Schüler befördert wurden, überfordert. Auch der eingeführte 5-Minuten Takt im Berufsverkehr und Arbeitszeitverlagerungen in den Betrieben konnte die Berufsverkehrsspitzen nicht zufriedenstellend abbauen. Ein Ausweg war der verstärkte Einsatz von Gelenkbussen ("Ikarus 180"). Ab 1973 erhielt der Rostocker Nahverkehrsbetrieb die ersten "Ikarus 260" und Gelenkbusse "Ikarus 280" mit MAN-Lizenz-Motor in Unterflurbauweise. Diese robusten Fahrzeuge erreichten das stattliche Alter von 18 Jahren. Die letzten schieden erst 1995 aus dem Fuhrpark der RSAG aus.
Der Bau der neuen Wohngebieten Brinckmanshöhe und Kassebohm verlangte eine Anbindung an den öffentlichen Nahverkehr. Seit Dezember 1999 ist die Buslinie 23 von Brinckmansdorf über Brinckmanshöhe bis nach Riekdahl verlängert worden. Im Juni 2000 kam eine werktägliche Linie 22 vom Hauptbahnhof (Süd) nach Kassebohm in Fahrt.
Heute bedienen moderne Niederflurgelenkbusse von MAN und Mercedes die beiden Buslinien nach Brinckmansdorf. Seit 2011 kamen auch schon Hybridbusse zum Einsatz. "Beim Mercedes-Benz Citaro G BlueTec Hybrid handelt es sich um einen seriellen Hybridantrieb mit vier elektrischen Radnabenmotoren. Der Dieselmotor fungiert hierbei als Generator für den Elektromotor zur bedarfsweisen Stromerzeugung. Den erzeugten Strom speichern Lithium-Ionen-Batterien, die auf dem Dach des Citaro montiert sind. Die Batterien werden nicht nur durch den Dieselgenerator, sondern auch durch die beim Bremsen anfallende Energie gespeist. Die beim Bremsen gewonnene Energie wird sowohl zur Versorgung des Fahrzeuges im Stand als auch zum Anfahren genutzt.
Dadurch ist es möglich, fahrsituationsabhängig den Dieselmotor auszuschalten und Teilstrecken rein elektrisch und ohne lokale Emissionen zu fahren. Die Senkung des Kraftstoffverbrauches und eine Reduzierung der Fahrgeräusche durch den leisen Elektromotor sind wesentliche Vorzüge der neuen Technik."(RSAG)