Der öffentliche Nahverkehr zum Osthafen und weiter nach Dierkow und Gehlsdorf
von Berth Brinkmann, Quelle: Straßenbahn und Busse in Rostock, Verlag Kenning, 2006
Die erste Nahverkehrsanbindung des Gebiets um den Petridamm gab es ab August 1933, als die Buslinie 3 wegen der Bauarbeiten an der Mühlendamm-Brücke vom Neuen Markt über Wollenweberstraße, Petridamm und Verbindungsweg zum Weißen Kreuz fuhr. Nach Fertigstellung der Brücke im März 1934 wurde die Buslinie 4 von der Breiten Straße über Lange Straße – Krämerstraße – Harte Straße zum Petridamm, Abzweig Verbindungsweg, eingeführt.
1934 begann der Bau der Siedlung Dierkow und damit stiegen auch die Fahrgastzahlen auf der Linie 4. Ab 1935 bekam die Buslinie 4 einen neuen Verlauf. Die mit Holzgas betriebenen Busse mussten nicht mehr die kurvenreiche Strecke durch die östliche Altstadt nehmen, sondern fuhren von der Breiten Straße durch die Schnickmannstraße und Am Strande zum Petritor und ab Februar 1936 über den Petridamm und den Dierkower Damm bis zur Dierkower Chaussee.
Ab 1934 sollte Rostock zum wirtschaftlichen Oberzentrum im Gau Mecklenburg-Lübeck ausgebaut werden. Vor allem östlich der Warnow sollten neue Wohngebiete aber auch industrielle und militärische Anlagen entstehen. Verkehrsprojekte sahen eine Bahnverbindung vom Hauptbahnhof über Petridamm, Dierkow, Hinrichsdorf, Nienhagen, Stuthof und Markgrafenheide nach Graal-Müritz vor. 1938 begannen die Bauarbeiten mit umfangreichen Erdbewegungen zwischen Dierkow Ost und West. Die 1939 fertig gestellte Straßenbrücke in der heutigen Gutenbergstraße zeugt noch heute von diesem gigantischen Vorhaben.
1939 bekam die RSAG dieselbetriebene Magirus-Busse, die wegen ihrer Größe auf der Linie 4 nun eine neue Streckenführung erhielten. Ab Dezember 1939 fuhren sie von der Breiten Straße über Lange Straße – Krämerstraße – Grubenstraße – Am Strande zum Petritor und weiter nach Dierkow. Wegen der Zerstörung der Innenstadt während des "Vier-Tage-Bombardements" im April 1942 wurde die Linien 4 wieder über die Schnickmannstraße und weiter Am Strande nach Dierkow und dort bis zur Schule in der Ludendorfstraße, 1943 dann bis zum Voß-un-Haas-Platz, geführt.
Ab 14. April 1945 kam der öffentliche Nahverkehr in Rostock ganz zum Erliegen.
Streckenchronik der alten Linie 4
von Ulrich Rohde, Rostocker Nahverkehrsfreunde
Am 24. März 1974, erreichte der letzte Straßenbahnzug aus Gehlsdorf kommend die Endhaltestelle Steintor. Mit dieser Ankunft wurde das Ende der alten Linie 4 vollzogen.
Moderne Busse übernahmen nun den Linienverkehr als Linie 21 bis Gehlsdorf. Im Berufsverkehr kam die Linie 22 zusätzlich als Verstärkung bis Dierkow zum Einsatz.
Im Frühjahr 1947 konnte seitens der Stadtverwaltung mitgeteilt werden, dass die Bauarbeiten für eine Straßenbahnlinie nach Dierkow / Gehlsdorf begonnen haben. Allerdings war die Zielstellung, in vier Monaten fertig zu sein, nicht erfüllbar.
Für die Bewohner des Stadtteils Gehlsdorf musste aber unbedingt eine stabile Verkehrslösung geschaffen werden, die vom Wetter unabhängig war. Zur damaligen Zeit bestand nur die Möglichkeit mit einer alten Dampffähre vom Anleger "Fährberg" (neben der heutigen Gaststätte "Fährhaus") oder vom Anleger Landreiterstraße mit den Fährbooten "Körling" und "Ilse" das Stadtzentrum zu erreichen. Im Winter wurde aus diesen Anbindungen oft wochenlang nichts, da eine dicke Eisdecke die Warnow schmückte. Aus politischen und wirtschaftlichen Gründen begannen die Bauarbeiten recht zögerlich und kamen dann im Juli 1948 ganz zum Erliegen. Auf die Erschließung des Stadtteils Gehlsdorf musste erst einmal ganz verzichtet werden, da das Gleismaterial nicht ausreichte. Zunächst ging es aber darum einen Ersatz für die vor dem Krieg bestehende Busverbindung zwischen Innenstadt und Dierkow zu schaffen. Die spätere Verlängerung bis Gehlsdorf war folgerichtig, da dieser Stadtteil immer mehr an Bedeutung erlangte (Werft).
Die alte Linie 4 endete somit erst einmal in Dierkow West (heute in Höhe des Abzweiges Hinrichsdorfer Straße/Dierkower Damm). Am 02. Juli 1948 konnte nun wenigstens die Eröffnungsfahrt für einen Teil der geplanten Strecke erfolgen. Nachdem das Problem mit dem Gleismaterial gelöst war, ging der Bau in Richtung Gehlsdorf weiter.
Der 1. Mai 1951 sollte als politischer Höhepunkt das Eröffnungsdatum sein, obwohl das letzte "Stückchen" der Strecke noch nicht fertig war.
Mit einer großen Veranstaltung an der Ausweiche Gehlsheimer Straße erfolgte die Inbetriebnahme. Die gerade neu gelieferten LOWA - Beiwagen EB50, gezogen von den Wismar - Triebwagen 40-42, hatten gleichzeitig ihren ersten Einsatz.
Die Gehlsdorfer Bürger fuhren nun mit der Straßenbahn zur Maidemonstration. Die erste Fahrt war natürlich kostenfrei. Auf der Rückfahrt von den Feierlichkeiten waren die Bahnen von der Eröffnungsfahrt nicht mehr im Einsatz, sondern die zwei vierachsigen Triebwagen der ehemaligen Strandbahn (Markgrafenheide - Hohe Düne) jeweils behängt mit einem kleinen Neusser Beiwagen. Auf den zwei weiteren Kursen kamen die kleinen Triebwagen (Eigenbau) bzw. Wismar -Triebwagen ab dem Baujahr 1926 mit Düsseldorfer- oder ehemaligen Strandbahnbeiwagen zum Einsatz.
Mit aller Kraft und in Handarbeit ging es in Richtung Kirchenplatz weiter. Schon am 15. Juni 1951 war das letzte Streckenstück fertig gestellt. In der Fährstraße mussten umfangreiche Erdarbeiten vorgenommen werden. Das Ausheben des Gleisbettes erfolgte manuell mit Schaufel und Spaten. Das ausgehobene Erdreich transportierten Pferdefuhrwerke ab. Nach dem Einbringen des Schotterbettes wurden die Gleise ohne Schwellen verlegt. Die Schienen selbst wurden mit angewinkelten Flacheisenbändern miteinander verbunden. Auch das Stopfen der Gleise erfolgte damals per Muskelkraft.
Die Straßenbahntrasse war nur eingleisig ausgebaut. Die Stecke führte vom Steintor > E. - Barlach - Str. > Am Bagehl > Altschmiedestr. > Alter Markt > Slüterstr. > Petridamm (mit der Kreuzung der Gleise zum Kohlehandel sowie dem Überfahren der Petribrücke) > Dierkower Damm > Gehlsheimer Str. > Fährstr. > Kirchenplatz in Gehlsdorf. Ausweichen gab es am Alten Markt, Dierkower Damm (heute in Höhe Haltestelle Petridamm), Dierkow West, Toitenwinkler Weg (heute Baumschulenweg) und Gehlsheimer Str. An den Endstellen Kirchenplatz in Gehlsdorf und am Steintor entstanden Wendeschleifen. Die Wendeschleife am Steintor umfuhr die Fläche der Ruine des Stadttheaters, heutiger Gebäudekomplex der "Ostsee-Zeitung", und nutzte das schon vorhandene Bereitstellungsgleis für das Theater in der Lindenstraße.
Anfangs wurde die Schleife entgegen des Uhrzeigersinnes befahren, aber nach kurzer Zeit in Uhrzeigerrichtung umgestellt. Der Grund hierfür lag im gegenläufigen Verkehr mit den vom Hauptbahnhof kommenden Linien. Allerdings erforderte diese Umstellung den Einsatz eines ständigen Weichenstellers am Abzweig zur E.-Barlach-Straße.
Mit dem Neubau des Verlagsgebäudes für die genannte Zeitung mussten sich bereits angesiedelte Baracken mit Gewerbe- und Verkaufseinrichtungen weichen, sowie auch gleichzeitig die Wendemöglichkeit für die Straßenbahn.
Diese neue Situation erforderte nun eine Kuppelendstelle in der E.- Barlach - Str. Mit großem Aufwand erfolgte zwangsläufig alle 15 Minuten der Rangier- und Kuppelvorgang mit dem Einsatz eines Standtriebwagens. Das bedeutet, dass der ankommenden Triebwagen stehen bleibt, der Beiwagen abgekoppelt wird und durch einen zweiten Triebwagen, der mit dem vorhergehenden Zug eintraf, übernommen wurde. In den Abend und Nachtstunden vereinfachte sich der Ablauf, da man nur mit Solotriebwagen fuhr. Die eingleisig ausgebaute Strecke mit ihren Ausweichgleisen wurde im 15-Minutentakt an den Wochentagen befahren. Die Begegnungen in dieser Taktzeit erfolgten am Alten Markt, in Dierkow West und in der Gehlsheimer Straße. Im 20-Minutentakt am Wochenende fanden die Begegnungen am Toitenwinkler Weg sowie am Dierkower Damm und im 30-Minutentakt in den Abendstunden nur an der Ausweiche Dierkow West statt. Bis Ende der 1960er Jahre war das Fahrgastaufkommen auf dieser Linie sehr groß und konnte mit den Zweiwagenzügen nicht bewältigt werden. Um Abhilfe zu schaffen wurden in den Morgen- und Nachmittagsstunden an den Werktagen zusätzlich "E" Triebwagen eingesetzt. Diese fuhren jeweils vor den Linienbahnen zwischen Steintor und Dierkow West.
Der Fahrzeugeinsatz auf der alten "4" blieb in den ersten Jahren fast unverändert. Die zwei Vierachser (48 und 49) der ehemaligen Strandbahn prägten das Bild bis ins Jahr 1954. Durch einen Frontalzusammenstoß am 18. Juli 1954 in der Kurve zwischen Schenkendorfweg und Toitenwinkler Weg wurden beide Triebwagen schwer beschädigt. Nach der Beseitigung der Unfallschäden kamen die Fahrzeuge (jetzt 22 und 23) auf der Linie 3 (Steintor - Tessiner Str./Verbindungsweg) bis zur Stilllegung dieser Strecke zum Einsatz. Die Umsetzung der Triebwagen war auch dringend notwendig, da auf dieser Strecke kein Beiwagenbetrieb möglich war, aber die bis dahin eingesetzten Triebwagen für das Fahrgastaufkommen zu klein waren. Mit der neuen Verwendung der zwei Vierachser kamen nun auch die Nutzer der Linie 4 in den ständigen "Genuss" mit den Wismar-Triebwagen (Bj.1940 - 1950) zu fahren. Bisher waren diese Fahrzeuge nur im Stadtzentrum anzutreffen. Zur damaligen Zeit war diese Veränderung schon ein Qualitätssprung. Die Zuführung der neuen LOWA-Triebwagen ermöglichten den Einsatz der Wismarwagen auch auf der "4". Mit der Beschaffung der Gotha-Gelenktriebwagen G4 in den 1960er Jahren erfolgte die Fahrzeugabsicherung bis zur Stilllegung der "alten Linie 4" mit den freigewordenen LOWA-Trieb- und Beiwagen in der Zweirichtbauart.
Einige Besonderheiten sollen nicht unerwähnt bleiben: Um das Fahren im Gefälle am Alten Markt in Richtung Petridamm und am Bagehl mit Überqueren der E.- Barlach - Str. sicherer zu gestalten, hatten die Schaffner auf dem Beiwagen immer die Aufgabe, an diesen Abschnitten Bremsertätigkeiten zu übernehmen. Nach dem Wegfall der Schaffner kam extra ein Bremser für diese Aufgabe zum Einsatz: So pendelte dieser dann ständig zwischen Dierkow West und dem Steintor. Das jeweilige Umsteigen erfolgte in Dierkow West in die in der Gegenrichtung fahrende Bahn. In der Fährstraße in Gehlsdorf war das Gleis einseitig verlegt. Zunächst gab es zwei Haltestellen (Blockweg und Landreiterstr.) später nur noch eine Haltestelle "Fährstr." (in Höhe des Hauses Nr. 10). In den ersten Jahren des Betriebes durften die Fahrgäste noch zur Straßenseite aus- und einsteigen, später war dieses nicht mehr gestattet. Daraufhin mussten in der Haltestelle "Gehlsheimer Str." die rechten Türen verschlossen und die linksseitigen geöffnet werden, damit nur in Richtung des Gehweges der Ein- und Ausstieg erfolgen konnte. Auf Grund dieser Tatsache fuhr die Linie 4 auch länger als andere Linien mit einem Schaffner. Mit Abschaffung der Schaffner übernahm der/die Fahrer/in diese Aufgabe, die natürlich mit einer Zeitverzögerung für die Fahrgäste verbunden war. An der Endhaltestelle "Kirchenplatz" wurden die Türen wieder im Normalzustand zurück geschlossen. Die Petribrücke war als Klappbrücke konstruiert und wurde bei Schiffsdurchfahrten geöffnet. Auf Grund des "bewegten Lebens der Brücke" konnten nur Wagen ohne Schienenbremsen eingesetzt werden. Das Befahren der Brücke war nur mit geringer Geschwindigkeit gestattet. Mit der Inbetriebnahme der Strecke nutzte die Straßenbahn kurzzeitig gemeinsam mit der Deutschen Reichsbahn das Hafenbahngleis über die Brücke. Eine Öffnung der Brücke bedeutete für den Straßenbahnbetrieb eine längere Wartezeit bis sie wieder geschlossen war. Die hochgeklappte Brücke konnte das Fahrpersonal schon beim Erreichen der Haltestelle Schenkendorfweg auf Grund der Höhe erkennen. Was machte dann das Personal? Es wurde langsam in Richtung Brücke gefahren in der Hoffnung, dass sie bei der Ankunft wieder geschlossen und somit befahrbar ohne Wartezeit ist. Bei Störungen oder Wartungsarbeiten an der Brücke konnte auf Grund der vorhandenen Ausweiche am Dierkower Damm ein Inselbetrieb eingerichtet werden.
Episoden gab es natürlich auch: So kam es wohl durch das zu schnelle Fahren, dass eine Bahn die Kurve von der Fährstr. zur Gehlsheimer Str. nicht schaffte, sondern geradeaus weiter in Richtung Fährberg fuhr. Gleiche Ursache hatte es sicherlich, dass eine andere Bahn in den Abendstunden den leichten Gleisverschwenkungen an der Haltestelle Gehlsheim Kliniken nicht folgte, sondern ebenfalls geradeaus fuhr. Auf dem Parkplatz, der hinter einer Hecke angelegt war, kam die Bahn zum Stehen. An der Ausweichstelle wartete die Gegenbahn nun vergeblich. Der Dispatcher sollte nach der Ursache sehen. Leider konnte er die Bahn nicht finden, diese stand ja hinter der Hecke. Eine Verständigung mit der Leitstelle konnte damals nur über die vorhandenen Streckentelefone erfolgen.
Die Stilllegung war nicht mehr abzuwenden, auch wenn einige Bürger das Vorhaben mit Traurigkeit zur Kenntnis nehmen mussten. Die Gründe für die Entscheidung lagen in der geringen Auslastung der Fahrzeuge (nur 750 Personen wurden pro Spitzenstunde und Richtung befördert) sowie der technische Zustand der Strecke. Der Trassenverlauf durch engen Straßen, die untergeordnete Ausfahrt am Bagehl in die E.-Barlach-Str., das Befahren der Petribrücke und die Gleisanordnung in der Fährstraße gaben mit dem Ausschlag für die Entscheidung zur Stilllegung. Eine Generalinstandsetzung wäre nötig gewesen, da die verlegten Schienen beim Bau schon nicht mehr neu waren, sondern teilweise von der ehemaligen stillgelegten Strandbahn kamen. Die Rillenschienen stammten sogar aus einem alten U-Bootbunker in Dranske auf Rügen. Das Schienenbett der Linie 4 war über zirka 1/3 der Strecke nicht geschottert, sondern nur in einem Kiesbett verlegt. Die Schienen selbst waren auf Grund der Nutzung vor der Verlegung schon arg abgenutzt und damit ein Grund der häufigen Entgleisungen. 1963 erfolgte zwar der Wechsel eines Großteils der Schienen, aber trotzdem wäre eine komplette Sanierung nötig gewesen. Hinzu kamen die schwierige Streckentopographie und die zum Straßenverkehr unsichere Trassierung. Diese Kriterien bedeuteten aus der damaligen Sicht das Aus. Die Strecke war in dieser Form nicht mehr straßenbahnwürdig. Allerdings wurden die zum "Verkehrsträgerwechsel" eingesetzten nagelneuen Ikarus Busse 260 bald darauf durch die Gelenkbusse Ikarus 180 ersetzt, da das Fahrgastaufkommen bedeutend größer war als angenommen. Dies war der besseren Erschließung Dierkows mit der Streckenführung durch die Gutenbergstraße und dem damit verbundenen Kundenzuwachs geschuldet.
Die letzte Fahrt ab Gehlsdorf/Kirchenplatz wurde von dem geschmückten LOWA-Zug mit dem Triebwagen 55 und dem Beiwagen 143 vorgenommen. An der Endstelle "Steintor" hatten sich an diesem 24. März 1974 hunderte Bürger eingefunden um Abschied von der alten Linie 4 zu nehmen, aber auch gleichzeitig die erste Fahrt mit dem Bus in Richtung Gehlsdorf mitzuerleben.