Geschichte/Wirtschaft
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Karte Osthafen (Kartenbild © HRO Rostock (CC BY 3.0)) |
Rostocker Anzeiger 1938 |
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Patentanmeldung 1941 |
AHR 1.2.13.12, 30. Mai 1942 |
Lageplan 1943 |
AHR 1.2.13. 60, 10.12.1943 |
AHR 1.2.13. 60, 23.05.1944 |
© Bildarchiv Foto Marburg |
AHR 1.2.13.1, Ende 1945 |
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Dierkower Damm 45
Von Draht-Bremer bis zum BSH
von Berthold Brinkmann
Ende des Jahres 2017 wurde am Dierkower Damm ein markantes Rostocker Gebäude abgerissen. Viele Rostocker kannten es nur als Sitz des Seehydrographischen Dienstes der DDR (SHD) bzw. des Bundesamts für Seeschifffahrt und Hydrographie (BSH). Das Backsteingebäude hatte aber eine viel längere Geschichte, wie aus Akten des Archivs der Hansestadt Rostock hervorgeht.1 Sie begann im Jahr 1937. Damals baute der Rostocker Kaufmann Carl Bremer hier für seine Firma „Eisenwerk Draht-Bremer Carl Bremer KG“ einen Gebäudekomplex, in dem 1938 die Produktion aufgenommen wurde.
Carl Bremer (geb. am 4. April 1885 in Ribnitz) besaß seit 1912 eine kleine Werkstatt für Drahtwaren am Beguinenberg 6. Sie war Ursprung der 1924 gegründeten Firma Draht-Bremer. Im Jahr 1925 kaufte Bremer vom Erlös des Verkaufs seines Wohnhauses in Gehlsdorf dann das Haus Krämerstr. 18 als Firmensitz und Produktionsstätte. Hier wurden vornehmlich Weidezäune und Vorrichtungen aus Eisen für die Viehhaltung produziert. Mit über 200 Mitarbeitern konnte man 1938 von der Krämerstraße in die neuen Gebäude am Dierkower Damm 45 umziehen.
In einem Lebenslauf, datiert auf den 18.8.1945, schreibt Bremer u. a.: „…April 1942: Zerstörung durch Bombenangriff. Wiederaufbau trotz vieler Schwierigkeiten der Behörden, welche den Wiederaufbau des Werkes nur für die Rüstungsfertigung erlauben wollten. Es ist mir aber gelungen, auch den Teil des Werkes, der für den landwirtschaftlichen Bedarf arbeitete, wieder in Betrieb zu bringen und doch wieder so auszudehnen, dass für die Granathülsendreherei nur 1/10 der betrieblichen Arbeitsfläche verblieb.“2
Auf diesen Umstand soll hier etwas näher eingegangen werden, da es im AHR einige Dokumente zur Zerstörung und den Wiederaufbau des Werkes am Dierkower Damm gibt.
Aus einem Protokoll vom 30. Mai 1942 geht hervor, dass Carl Bremer sich zu den Zerstörungen rechtfertigen musste: „…Ich selbst war in den ersten drei Angriffsnächten englischer Flieger auf Rostock in meinem Privatwohnhause Augustenstrasse Nr. 117 anwesend. Mein Sohn, der auch seine Familienwohnung in diesem Hause hat, musste in jeder Nacht SA.-Dienst machen. In der vierten Angriffsnacht habe ich selbst ausserhalb von Rostock mit meiner Familie aufgehalten, nachdem mein Wohnhaus in Rostock stark demoliert war und nachdem auch die Fabrik abgebrannt war. Die Fabrik und die Bürogebäude wurden in der ersten Angriffsnacht beschädigt durch rundherum gefallene Sprengbomben. Ein Blindgänger ging in den Betrieb, worauf schon nach der ersten Nacht der ganze Betrieb polizeilich gesperrt wurde. …Trotz wiederholter Bemühungen habe ich jedoch nicht erreicht, dass der Blindgänger bis zum Zeitpunkt des vollkommenen Ausbrennens meines Werkes in der dritten Angriffsnacht gesprengt wurde. Die Vernichtung des Werkes ist hauptsächlich durch Brandbomben und Kanister verursacht. Das Feuer konnte sich besonders schnell ausbreiten, weil das Gebäude in der Hauptsache aus Holzkonstruktion bestand. Eine Konstruktion aus Eisen war mir im Jahre 1937 abgelehnt worden, weil das Eisen damals für den Westwall vordringlich gebraucht wurde. Die Bedachung des Werkes war Pappbedachung. Das Werk ist bis auf die Umfassungsmauern ausgebrannt. Drehbänke und Maschinen sind von Bestand geblieben und werden z. Zt., soweit angängig brauchbar gemacht… Das Bürogebäude ist auch ausgebrannt, bis auf das unterste Geschoss…
Die Ausbreitung des Feuers über mein ganzes Fabrikgrundstück ist hauptsächlich darauf zurückzuführen, weil in der dritten Angriffsnacht kein Wasser zum Löschen zur Verfügung stand. Trotzdem… noch während der Nacht die Feuerwehr angefordert hatte, ist diese jedoch erst nächsten Vormittag gegen 8.00 Uhr beim Werk zum Ablöschen des Brandes erschienen…“3
In diesem Protokoll werden die eigenen Feuerlöscheinrichtungen und die Anwesenheit des eigenen Werkluftschutzes aufgezählt. Da auch nachts gearbeitet wurde, hielten sich etwa 30 männliche Personen im Werk auf. Dies war in der dritten Angriffsnacht wegen des Blindgängers und einer Stromunterbrechung nicht mehr der Fall. Dafür befand sich zusätzlich zu den sechs auf dem Betriebsgelände wohnenden Mitarbeitern eine SA-Brandwache im Werk. Sie konnten aber nur das Wohnhaus retten.4
Am 16.5.1942 bescheinigte die Mecklenburgische Industrie- und Handelskammer den Totalschaden der Fabrik- und Bürogebäude. Mit Schreiben vom 1.6.1942 bestätigte dann der Reichsstatthalter für Mecklenburg, Friedrich Hildebrandt, Carl Bremer die volle Unterstützung beim Wiederaufbau seines Werkes. Bereits am 28.6.1942 stellte Bremer bei der zuständigen Baubehörde einen Antrag zum Bau von drei Baracken und einer großen Lagerhalle der Firma Pibeton Wiesbaden. Anfang Juli 1942 wurde dann eine Baracke („Russenbaracke“) für die Ostarbeiter vom Typ RLM 501/34 (42,5m x 12,5m, jeder Raum 7,5m x 5,0m) in Wiesbaden geordert. Schon am 14.7.1942 erteilte der Architekt Walter Butzek die Genehmigung zum Aufstellen der Pibeton-Halle.5 Auf einem Luftbild von 1944 aus dem Deutschen Dokumentationszentrum für Kunstgeschichte Bildarchiv Foto Marburg ist die Anordnung der Baracken und der Leichtbeton-Halle gut zu erkennen.
Um den kriegsbedingten Mangel an deutschen Arbeitskräften auszugleichen, wurden während des Zweiten Weltkrieges immer mehr Zwangsarbeiter aus den besetzten Ostgebieten eingesetzt. Am 2.12.1943 arbeiteten bei Draht-Bremer über 100 Ostarbeiter, davon 83 Frauen. Ihre Lagerbaracke war eingezäunt.6 Mit zunehmenden Niederlagen der Deutschen Wehrmacht rechnete der Werkschutz mit Unruhen unter den Ostarbeitern. In einem geheimen Schreiben vom 23.5.1944 ordnet der Werkschutzleiter Rummel an: „Bei evtl. Auftreten von Unruhen unter den Ausländern habe ich angeordnet, dass die 5 vorhandenen Gewehre dem Werkluftschutzleiter v. Dienst zur Verfügung stehen. Dieser hat dieselben unter seinen selbst zu bestimmenden deutschen Gefolgschaftsmitgliedern zu verteilen. Die WL v D sind unterrichtet, dass sie rücksichtslos vorgehen und sofort von der Waffe Gebrauch machen… Die Firmen Draht-Bremer, Maschinenfabrik Lange, Meincke, Schultz Nachf., Ihde & Co, das Lager Dierkow werden zusammengeschlossen…“7
„Einer im Rostocker Osthafen aktiven Gruppe von deutschen und sowjetischen Arbeitern ist es gelungen, drei Betriebe für zwei Tage stillzulegen. Nach einem Bombenangriff, bei dem viele Stabbrandbomben und Brandplättchen abgeworfen worden waren, konnten sie die auf dem Werksgelände der Firma Meinke befindliche Umformerstation durch Brandplättchen zerstören. Ferner soll diese Widerstandsgruppe im Osthafen Ruderanlagen für Schnellboote und Grundwannen für Flugzeuge beschädigt haben.“8
Mit der Überwachung der der eigenen Mitarbeiter kann es bei Draht-Bremer nicht weit her gewesen sein. Im November 1942 gibt der Werksangehörige K. zu Protokoll: „Bei Draht Bremer ist schon immer soviel gestohlen worden und von der Belegschaft während der Arbeitszeit für eigene Zwecke gearbeitet worden, wie in keinem anderen Betriebe.“9
Noch 1944 expandierte Draht-Bremer durch die Eingliederung von Zweigbetrieben im schlesischen Wohlau und in Marktheidenfeld am Main.10
Nach dem Einmarsch der Roten Armee am 1. Mai 1945 hoffte Carl Bremer seinen Betrieb in Rostock weiterführen zu können. Wochenlang stellte er Anträge und besuchte die zuständigen Behörden. „Am 14.8.45 traf ein Räumkommando ein und der Betrieb wurde wieder besetzt, die Büroräume mussten wieder verlassen werden. Grosse Schwierigkeiten mit dem Major Rabinowitsch entstanden und grosse Sorgen um die Belassung des Maschinenbestandes und der Warenvorräte. Viele Verhandlungen wegen Rettung von wenigstens einen Teil der Maschinen und des Warenlagers nach vielen schriftlichen Eingaben und persönlichen Reisen nach Schwerin und Berlin und wieder Verhandlungen in Rostock mit allen möglichen Stellen. Die Demontage wurde rigoros durchgeführt und alle elektrischen Leitungen abgerissen und auch die Heizkessel ausgebaut…“11
In den folgenden Jahren versuchte Carl Bremer seinen Betrieb in Rostock wieder aufzubauen. In einem Strukturbericht an die Zentralverwaltung der Industrie in Berlin vom 9.11.1946 wird über die Eisenwerk Draht-Bremer Kommandit-Gesellschaft mit dem Geschäftsführer Carl Bremer berichtet. Kommanditisten sind seine drei Kinder, der Betrieb hat 70 Angestellte. Produziert werden 5.000 Kartoffelkörbe, 20 Tonnen Drahtgeflechte und 5 Tonnen Grudeglucken im Monat.12
„…Trotz intensiven Ringens konnte der Firmengründer die am 10. Juli 1948 durch die mecklenburgische Landesregierung verfügte Enteignung des Stammsitzes des Eisenwerkes Draht-Bremer KG nicht abwenden. Acht Tage darauf beantragten die Schweriner Behörden beim Amtsgericht die Löschung der Firma. Da der Betrieb in Wohlau – nun auf polnischem Staatgebiet – bereits verloren gegangen war, zog sich Carl Bremer mit einem Teil der Rostocker Belegschaft nach Marktheidenfeldt zurück…“13
Auf dem Gelände seiner ehemaligen Firma am Dierkower Damm 45 hatten sich zwischenzeitlich auch andere Firmen niedergelassen. Die Meincke Maschinen- und Kühlschrankwerk KG und Georg Pechstein, Fabrik für Beleuchtungskörper waren hier u. a. kurzzeitig gemeldet. Ab Juni 1949 wurde dann im Bürogebäude der Hauptsitz der VVB (Vereinigung Volkseigener Betriebe) Maschinenbau Metallwaren Land Mecklenburg mit der Maschinen-Fabrik und Drahtwerke Rostock eingerichtet.14
Ab 1952 befand sich auf dem Gelände, in extra dafür errichteten Gebäuden, die Grenzpolizei, Stab der Grenzbereitschaft Rostock. Die Grenzpolizei war dort bis Anfang 1959 ansässig.
Anfang 1959 ergab sich für die Liegenschaft am Dierkower Damm plötzlich eine ganz neue Perspektive. Der Seehydrographische Dienst der DDR zog von Stralsund nach Rostock.
„Auf Beschluss des Ministerrates der Deutschen Demokratischen Republik vom 27. Juli 1950 wurde der Seehydrographische Dienst der DDR 18 (SHD-18) geschaffen und mit Wirkung vom 27. Oktober 1950 aufgestellt. Der Seehydrographische Dienst war zunächst Teil der Seepolizei, dann der Volkspolizei-See und mit Gründung der Nationalen Volksarmee am 01. März 1956 ein Teil der Seestreitkräfte der Volksmarine der Nationalen Volksarmee (NVA)…
Der SHD-18 unterstand dem Kommando der Volksmarine. Die Standorte waren am 27. Juli 1950 Berlin, am 15. Juni 1953 Stralsund und vom 26. Januar 1959 an am Dierkower Damm 45 in Rostock/OT. Dierkow.
Die Aufgaben des SHD-18 bestanden darin, die nautische Sicherheit auf See und den Seewasserstraßen zu gewährleisten, die Vermessung der Küstengebiete, die Herausgabe von Seekarten und Seehandbüchern, die Betonnung/Wartung der Schifffahrtswege und die Wartung der Seezeichen. Im Jahre 1952 übernahm der SHD-18 weiterhin den Seezeichendienst, wogegen der Wasserstands- und Eisdienst abgegeben wurde…“15
Ende 1971 konnte auf dem Gelände des Hauptsitzes des SHD am Dierkower Damm ein Druckereineubau in Betrieb genommen werden. Auf 1.700 m² Produktionsfläche konnte eine entscheidende Verbesserung der Arbeitsbedingungen, der Lagerung des Materials und der Zusammenarbeit mit dem Seekarten- und Bücherwerk erreicht werden.16
„Mit Beginn der Deutschen Einheit am 3. Oktober 1990 wurde das BSH nach Maßgabe des Einigungsvertrages auch für den Bereich der neuen Bundesländer zuständig. Die den BSH-Aufgaben vergleichbaren Aufgaben der vormaligen DDR-Institutionen gingen unmittelbar auf das BSH über. Mit Wirkung zum 3. Oktober 1990 wurde eine Außenstelle in Rostock eingerichtet. Vom Seehydrographischen Dienst, dem Seefahrtsamt, der Wasserwirtschaftsdirektion Küste, dem Meteorologischen Dienst und der Bagger-, Bugsier- und Bergungsreederei wurden 200 Mitarbeiter übernommen.
Entsprechend den Beschlüssen der von Bundestag und Bundesrat eingesetzten Föderalismuskommission, wurde die vorherige Außenstelle in Rostock neben Hamburg gleichberechtigter Dienstsitz des BSH. Unter anderem wurde die nautisch-hydrographische Abteilung sowie der Eis- und Wasserstandsdienst für die Ostsee in Rostock konzentriert, das inzwischen Zentrum der Hydrographie in Deutschland ist. 2001 konnte in Rostock ein neues Dienstgebäude am Ufer der Warnow auf dem Gelände der ehemaligen Neptun-Werft bezogen werden.“17
Das nun leerstehende Gebäude am Dierkower Damm war bis 2016 eine bundeseigene Liegenschaft, wurde 2016 von der Hansestadt Rostock gekauft und im Jahr 2017 abgerissen.
1Archiv der Hansestadt Rostock (AHR) 1.2.13. Eisenwerk Draht-Bremer KG, o.D.
2 AHR 1.2.13.-1 Bereinigung der Wirtschaft, Lebenslauf, 18.8.1945
3 AHR 1.2.13.-10 Meldung des Sachschadens durch Kriegszerstörungen, Protokoll, 30.5.1942
5 AHR 1.2.13.-12 Berichte von Werkangehörigen über die Zerstörung des Werkes, März – Juli 1942
6 AHR 1.2.13.-60 Betriebsschutz, Beschäftigung von 100 sogenannten Ostarbeitern, 2.12.1943
7 AHR 1.2.13.-60 Betriebsschutz, Ausrüstung mit Gewehren und Befehl des rücksichtslosen Schießens bei Unruhen unter den Ausländern, 23.5.1944
8 Dr. Friedrich Stamp: Zwangsarbeit in der Metallindustrie 1939 – 1945, Das Beispiel Mecklenburg-Vorpommern, Berlin, November 2001
9 AHR 1.2.13.-12 Berichte von Werkangehörigen über die Zerstörung des Werkes, Nov. 1942
10 AHR 1.2.13. Eisenwerk Draht-Bremer KG, o.D.
11 AHR 1.2.13.-1 Bereinigung der Wirtschaft, Bericht Carl Bremers, Ende 1945
12 AHR 1.2.13.-15 Strukturbericht über die Wirtschaftslage in der Maschinenbauindustrie, Eisenwerk Draht-Bremer, 9.11.1946
13 AHR 1.2.13. Eisenwerk Draht-Bremer KG, o.D.
14 AHR 1.2.13.-26 Pläne und Zeichnungen zum geplanten Wiederaufbau des Werkes und des Privathauses, Juni 1949
15 http://www.argus.bstu.bundesarchiv.de/DVM119-30075/index.htm?kid=22a6d5f6-02b9-4c28-bcf8-e6ac61ba1162
16 1950 – 1990, 40 Jahre SHD; Seehydrographischer Dienst der DDR, Rostock, 1990
17 http://www.bsh.de/de/Das_BSH/Organisation/Geschichte/index.jsp
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